Interview mit Irmela Schautz
Liebesbräuche für den Bundespräsidenten

Im Interview vorgestellt: Irmela Schautz – Illustratorin, Bühnen- und Kostümbildnerin. Tätig für namhafte Verlage und Magazine. Dozentin an der AID Berlin. Wir gingen gemeinsam auf Spurensuche in ihren Bildern, sprachen über Illustrationen, die verführen. Über Bilder, die wie Theaterkulissen anmuten und das Geheimnis, im eigenen Berufsleben Regie zu führen.

Jede kreative Laufbahn hat eine Vorgeschichte. Erinnerst du dich an Momente deiner Kindheit, die deinen heutigen Beruf schon erahnen ließen?

Es sind nicht nur Momente, meine gesamte Kindheit hindurch wurde ich von dem Ort geprägt, an dem ich aufgewachsen bin: ein Bauernhaus am Bodensee. Mein Vater – Maler, Lithograph und Kunstlehrer – ließ mich in seiner Werkstatt immer zuschauen. Malutensilien, Papier und Pinsel waren an diesem Ort immer verfügbar. Die Malerei gehörte ganz selbstverständlich zu meiner Kindheit dazu! Außerhalb dieser Insel der Kreativität war auf dem Lande natürlich nicht viel los, also wurde ich selbst als Jugendliche kaum von diesem Leben abgelenkt.
Prägend war auch mein Kunstlehrer, der einen tollen und anspruchsvollen Unterricht auf die Beine stellte und selbst Künstler war. Während meiner Schulzeit gewann ich einen Bundesförderpreis für Malerei, der mich gemeinsam mit anderen Schülern drei Jahre lang in den Genuss brachte, während der Sommerferien kreativ tätig zu sein – unter Anleitung eines Professors der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Auf deiner Website ist von der „Verführung zum genauen Hinschauen“ die Rede – eine schöne Umschreibung deiner Arbeitsweise als Illustratorin. Wie verführst du und was gibt es für den „Verführten“ zu entdecken?

Bei jedem neuen Projekt muss ich zunächst selbst genau hinschauen, also so detailliert wie möglich recherchieren. Ich bin Spurensucherin, Detektivin, Entdeckerin. Zur „Verführung“ des Betrachters verwende ich verschiedene Methoden. Erstens: Details kommen vom Material. Also schärfe ich den Blick auf Materialität im Bild. Zweitens: Farbe. Ich recherchiere die Farbwelt sehr genau, bevor ich ein Farbkonzept zu einem Thema erstelle. Dann ist da noch die Vielschichtigkeit in der Konstruktion meiner Bilder: Anstatt korrekter Perspektive entdeckt der Betrachter verschiedene Ebenen, die sich wie Theaterkulissen hintereinander staffeln und somit Bildtiefe erzeugen. Die Entdeckungsreise durch meine Bilder soll jedoch immer Bezug zum Hier und Jetzt haben. Also achte ich auf eine Bildsprache, die dem Leser ermöglicht, seine eigene Geschichte in die Bilder hinein zu interpretieren.

Du hast Malerei und Grafik, aber auch Bühnen- und Kostümbild studiert. Wie viel Bühnenbildnerin steckt heute noch in der Illustratorin Irmela Schautz?

Sehr viel! Ich würde es festmachen an meinem ungebrochenen Interesse an Hintergrundrecherchen, an meiner Liebe zur Materialität, zu Stoffen und Ornamenten. Am schon erwähnten bühnenartigen Aufbau meiner Bildkompositionen. Auch die Notwendigkeit, teamfähig zu sein, erinnert mich sehr an die Welt des Theaters. Mit dem kleinen Unterschied, dass ich im Umgang mit Verlagen heute mein eigener Regisseur bin!

Die Illustration deines eigenen Namenschriftzugs verheißt unterschiedlichste Stile und Techniken. Wie viele Gesichter hat dein Werk? Sollte ein Illustrator nicht zugunsten seiner Wiedererkennung Stilpluralismus vermeiden?

Mein Werk hat trotz unterschiedlicher Stile eine unverkennbare Handschrift – zumindest für den, der genau hinschaut. Im Studium sollte man alles ausprobieren, sämtliche stilistischen Mittel und Techniken kennenlernen und uneingeschränkt einsetzen. Danach gilt es, seinen eigenen Stil zu finden, was für mich nicht ausschließt, weiterhin verschiedenste Techniken auszuprobieren und sich immer wieder neu zu erfinden. Ich kann hierzu einen Illustrator nennen, den ich sehr schätze. Christoph Niemann – wie ich Absolvent der Kunstakademie Stuttgart – hat seine ganz eigene Art zu illustrieren, mit viel Humor und voller Mehrdeutigkeiten!

Du hast in Japan gearbeitet. Diese Zeit hat dich nachhaltig beeinflusst. Erzähle uns mehr darüber!

Wie viele Europäer erfuhr ich zunächst einen Kulturschock. Dann begann ich, mich auf Japan einzulassen. Es sollte eine Entdeckungsreise werden. Eine Reise zur Andersartigkeit, zur Sensibilität für Material, zur eigenen japanischen Ästhetik. Über ein Praktikum als Kostümassistentin bei einer Sprechtheatergruppe bin ich zur Bühne gekommen. Während meines zweiten Aufenthalts in Japan entwarf und fertigte ich die Kostüme für die Mozartoper „Cosi fan tutte“ an. Dafür verwendete ich Alltagsmaterialien aus dem Hyaku Yen Store, dem japanischen Pendant zu unseren 1€-Läden. So entstanden z.B. Kostüme aus Putzutensilien und moderne Samurai Rüstungen aus PlayStation 2 Postern. Das war ein echtes Abenteuer! Der Japanaufenthalt prägt mein Werk bis heute, was sich vor allem in meiner Liebe zum Papier und der Farbe widerspiegelt.

Dein Portfolio ist sehr vielseitig. Liegt das am Spektrum deiner Auftraggeber oder sorgst du aktiv dafür, dass dein Job so vielfältig bleibt?

Ich versuche sehr wohl darauf Einfluss zu nehmen, welche Jobs auf meinem Zeichentisch landen. Natürlich hat man – je nach aktueller Auftragslage – nicht immer die Wahl, aber mit aktiver Akquise lässt sich viel erreichen. Ich unterbreite den Verlagen regelmäßig eigene Projektvorschläge. So habe ich beispielsweise zusammen mit meiner Atelierpartnerin, der Autorin Michaela Vieser, zwei Buchprojekte realisiert. Idee, Text und Bild kamen von uns. Eigeninitiative lohnt sich!

An der AID Berlin unterrichtest du gerade Titelillustration für ein Magazinprojekt zum Thema „Liebe“. Welches Rezept hältst du für die Studierenden bereit, wenn es darum geht, zu einem Thema das passende Bild zu finden?

Die Zutaten lauten: Recherche, Neugierde, Experimentierfreudigkeit, Querdenken und die Ausdauer, sich nicht gleich mit ersten Versuchen zufrieden zu geben!

Eine Frage zitiere ich aus deinem „Scribble- und Inspirationsbuch“, erschienen im Christophorus Verlag: Ist Kreativität Kampf oder Freude?

Beides! Jedes neue Projekt bedeutet Kampf. Kampf mit der Angst vor dem weißen Blatt Papier. Kampf um absolute Ruhe, die ich gerade in der Anfangsphase brauche. Freude empfinde ich, wenn ich ein schwieriges Thema meistere, das mich zunächst überhaupt nicht angesprochen hat. Wenn ich Ansatzpunkte für mich finde, wenn ich von Dingen überrascht werde, mit denen ich nicht gerechnet habe. Und was die häufig wechselnden Höhen und Tiefen anbetrifft – die gehören zu jedem Kreativberuf und wahrscheinlich sogar zum jedem Leben dazu.

In jüngster Zeit warst du auf Lesereise. Autoren am Mikrofon, das kennt man – aber eine Illustratorin auf der Bühne, wie kommt das?

Es handelt sich um das neue Gemeinschaftswerk von Michaela Vieser und mir mit dem Titel „Für immer und jetzt – wie man hier und anderswo die Liebe feiert“. Von der Idee bis zum fertigen Buch über Liebesrituale weltweit haben Michaela und ich zusammengearbeitet. Nun stehen wir auch gemeinsam auf der Bühne, um das Buch vorzustellen. Wir lesen abwechselnd mit verteilten Rollen, erzählen von unserer intensiven Recherche, unseren Entdeckungen und wie die Bilder und Texte entstanden sind. So bieten wir dem Zuhörer einen lebendigen Einblick in unsere besondere Arbeitsweise und eröffnen ihnen zwei Perspektiven auf Text und Bild. Übrigens wurde unser Buch einem prominenten Leser empfohlen: Zum Welttag des Buches am 23. April 2016 legte die Inhaberin einer prämierten Münchner Buchhandlung dem Bundespräsidenten Joachim Gauck „Für immer und jetzt“ persönlich ans Herz – als Geschenk an seine Lebensgefährtin.

Was zeichnest du am Liebsten, wenn du mal frei von Vorgaben eines Auftraggebers bist?

Alles, was mir in den Sinn kommt. Wer neugierig durch die Welt läuft, dem gehen die Themen nie aus!

Vielen Dank für das Interview!

Interview: Tilo Schneider
Bilder: Irmela Schautz

www.irmela-schautz.de