Interview mit Klaus Baumgart
Es ist wie eine Sucht!

Im Interview vorgestellt: Mit Campingbus und 500 Mark in der Tasche landete Klaus Baumgart Anfang der 80iger Jahre in Berlin. Nach einem Studium der Visuellen Kommunikation an der Universität der Künste gehört er heute mit über 13 Millionen verkauften Büchern weltweit zu den international erfolgreichsten Bilderbuchkünstlern. Sein Werk „Lauras Stern“ ist aus den Kinderbuchregalen nicht mehr wegzudenken. Wir trafen Klaus Baumgart in Berlin und sprachen mit ihm über das Talent, gute Geschichten zu erzählen, Erfolgsdruck und die Suche nach Inspiration.

Wie beginnst Du deine Arbeit an einem neuen Bilderbuch? Entwickelst Du zuerst die Geschichte oder zuerst die Figur?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Bücher, die aus einer Figur heraus entstanden sind und es gibt Bücher, bei denen als erstes die Geschichte da war. Meistens läuft das aber parallel. Wichtig ist nur, dass beide Elemente harmonisch miteinander agieren. Dafür muss man die Figur gut in die Geschichte einführen und ihr Leben einhauchen. Nichts ist schlimmer, als wenn eine Figur zu statisch wirkt. Mit einem Bilderbuch möchtest du ja emotional etwas bewirken und Kinder wie auch Eltern berühren.

Wie lange arbeitest du an einem Bilderbuch?

Das hängt sehr vom Thema ab. Manche Bilderbücher habe ich in sechs Wochen fertiggestellt, an anderen Ideen arbeite ich bereits seit mehreren Jahren. So ganz genau kann man das aber eigentlich nicht sagen. Einerseits arbeite ich ja nicht kontinuierlich daran, andererseits ist die Geschichte aber immer in meinem Kopf, auch wenn ich gerade etwas ganz anderes tue. Es ist wie eine Sucht, wenn du es richtig machst: Du musst dich mit Haut und Haaren darauf einlassen und dafür brennen. Ansonsten wird das nichts.

Welche Einflüsse lässt du dabei zu?

Ich bin tatsächlich sehr empfänglich und dankbar für die Kritik anderer. Wenn man schon sehr lange an einem Projekt arbeitet, neigt man nach einer Weile dazu, die Dinge zu verkopft anzugehen, so dass sie im schlimmsten Fall für Außenstehende nicht mehr nachvollziehbar sind. Allerdings darf man auch nicht zu früh mit einer Idee nach außen treten, sonst hat man am Ende dasselbe Problem. Die ersten Personen, die ein neues Projekt von mir anschauen dürfen, sind deswegen zunächst nur meine Frau, meine Tochter und mein Enkel. Vor allem meine Tochter ist dabei sehr kritisch und sieht jeden Fehler. Das gleiche wünsche ich mir dann im zweiten Schritt auch vom Lektorat.

Wann trittst du mit deiner Buchidee an den Verlag heran?

Bei mir läuft das mittlerweile andersherum, so dass der Verleger an mich herantritt und nach neuen Projekten fragt. Eine zweite Möglichkeit ist, dass der Verlag mir einen Platz im kommenden Programm reserviert, wenn ich ein Bilderbuch fertiggestellt habe. Nach meiner Erfahrung ist es nicht so gut, sich mit einem fertigen Buch bei einem Verlag zu bewerben. Immerhin wollen die Lektoren ja auch noch Einfluss darauf nehmen können.

Was ist Dir persönlich wichtig bei einem Kinderbuch? Was willst du vermitteln?

Eins meiner Anliegen ist es, dass die Leser mit meinen Figuren mitfühlen können und Empathie entwickeln. Außerdem möchte ich Kindern mit meinen Büchern eine Art Grundvertrauen vermitteln. Um das zu erreichen, muss vor allem die Geschichte dahinter überzeugen. Gute Illustratoren gibt es viele, aber du kannst noch so schöne Zeichnungen machen – wenn am Ende die Geschichte nicht stimmt, ist alles umsonst. Gerade beim Bilderbuch hat man so wenig Text, dass dafür jeder Satz auf dem Punkt sein muss. Bei einem Drehbuch versendet sich so etwas eventuell, nicht so beim Bilderbuch.

Apropos Drehbuch – du hast ja auch schon selber Erfahrungen mit der Arbeit als Drehbuchautor gemacht – wie hast du das erlebt?

Da gibt es schon einige Unterschiede. Ein Bilderbuch kannst du zwischendurch auch mal zur Seite legen, beim Drehbuchschreiben geht das nicht. Die Arbeit ist so intensiv, dass sie dich nicht mehr loslässt. Außerdem steht man unter einem wahnsinnigen Zeitdruck, muss ständig neue Ideen einarbeiten und im Zuge dessen die ganze Geschichte immer und immer wieder umschreiben. Ständig verändert sich etwas, auch ganz grundsätzliche Dinge, die dann andere Sequenzen mitbeeinflussen. Das ist zwar bei einer Bilderbuchgeschichte ähnlich, aber der Rahmen ist überschaubarer. Ich bewundere Menschen, die das können, beneiden tue ich sie aber nicht.

Dafür beneiden dich bestimmt viele Autoren für „Lauras Stern“? Wie ist die Idee zu einem der erfolgreichsten Bilderbücher entstanden?

Die ehrlichste Antwort auf diese Frage lautet: Ich weiß es nicht. Das ist einfach so passiert. Es hat vielleicht damit angefangen, dass ich auf der Suche nach einer Metapher zum Thema Freiheit war und dafür einen Stern in einem Vogelkäfig gezeichnet habe. Daraus hat sich dann irgendwie Stück für Stück die Geschichte entwickelt. Die Idee für das Pflaster, mit dem Laura die Zacke des Sterns repariert, ist zum Beispiel erst ganz am Ende entstanden. Man muss dazu aber auch sagen, dass „Lauras Stern“ nicht so ein Selbstläufer ist, wie viele vielleicht denken mögen. Ich habe die Figur immer sehr gepflegt, bin an ihr drangeblieben und habe mir immer wieder neue Geschichten zu ihr ausgedacht.

Das hat sich offensichtlich gelohnt. Nach dem großen Erfolg von „Lauras Stern“, empfindest Du da heute so etwas wie Erfolgsdruck?

Ganz im Gegenteil. Man schreibt ein Buch ja nicht mit der Absicht, einen Bestseller zu landen. Der Erfolg eines Buches hängt schließlich von den unterschiedlichsten Faktoren ab. Trifft es den Zeitgeist, habe ich den richtigen Verlag für das Buch usw. Wenn sich dann der Erfolg einstellt, ist das ein großartiges Gefühl, das man dir nicht mehr nehmen kann. Wenn sich das dann wiederholt, ist das zwar schön, aber ich muss dem Erfolg nicht mehr hinterherrennen. 

Von „Lauras Stern“ gibt es mittlerweile ja mehrere Bücher, Filme und sogar eine Fernsehserie. Wo kommen die ganzen neuen Ideen her? Gibt es bestimmte Techniken, die Du dabei anwendest?

Ich denke, dafür gibt es kein Rezept. Ich persönlich brauche einfach sehr viel Ruhe zum Arbeiten. Am besten gelingt das, wenn ich irgendwo nur für mich allein bin ­– ohne Telefon und ohne Ablenkung. In solchen Momenten zeichne ich dann als erstes die Figur, stelle sie in unterschiedlichen Positionen dar und frage mich: Wer ist sie? Wo wohnt sie? Und was macht sie hier? Dabei rede ich auch mit meinen Figuren und gebe ihnen eine eigene Stimme. Das war zum Beispiel auch der Grund, warum es am Anfang sehr schwer für mich war, als Laura eine Stimme bekommen hat, weil es eben nicht meine Stimme für sie war. Mittlerweile bin ich aber sehr glücklich damit.

Gibt es denn trotzdem manchmal kreative Flauten? Und wie gehst du damit um?

In solchen Fällen mache ich erst einmal etwas ganz anderes. Zum Glück haben sich im Laufe der Zeit so viele Dinge angesammelt, dass ich genug Material habe, auf das ich zurückgreifen kann. Deswegen ist es auch so wichtig, ein Skizzenbuch zu führen. Jeder Illustrator sollte eins haben! Außerdem sollte man versuchen, locker zu bleiben. Wenn man innerlich verkrampft, hat man schon verloren. Sowas hasst die Inspiration. Was mir dann hilft, ist die Gewissheit, dass alles, was ich bis zu diesem Punkt bereits getan habe, nicht umsonst war und mir am Ende irgendwie zugutekommt. Und sei es nur, dass ich den gleichen Fehler nicht noch einmal mache. Die Zeit und Energie, die man in ein Projekt investiert, ist nie verschwendet. Das ist vielleicht eine der wichtigsten und schwersten Lektionen, die man lernen muss.

Apropos lernen: Kann man Illustration in dem Sinne überhaupt lernen? 

Es gibt Grundregeln und Techniken, die jeder Illustrator erlernen kann.  Was meiner Meinung nach aber ganz schwer zu lernen ist, ist wie man gute Geschichten schreibt. Es gibt zwar viele Bücher, die genau das vermitteln möchten, am Ende kommt es aber immer auf die Inspiration an. Die Arbeit eines Illustrators oder Autors kann man ja nicht mit der Arbeit eines Tischlers vergleichen, der genau weiß, welche Arbeitsschritte er befolgen muss, um am Ende ein bestimmtes Ergebnis zu erhalten.

Gibt es dabei denn zumindest Kardinalfehler, die man bewusst vermeiden kann?

Da fallen mir gleich mehrere ein. Zum Beispiel werden Fragen nach dem Format, der Typografie, dem Licht oder der Farbigkeit oft vernachlässigt. Dabei können, je nachdem, wie ich diese Elemente einsetze, ganz unterschiedliche Aussagen für meine Geschichte getroffen werden. Ein anderes Thema betrifft den richtigen Umgang mit den Figuren. Viele zeichnen ihre Charaktere völlig starr und leblos. Dabei ist gerade hier Dynamik und Leichtigkeit unerlässlich. Deswegen bin ich auch ein großer Fan vom Illustrator Quentin Blake, der es geschafft hat, seinen Figuren eine ganz eigene Lebendigkeit zu verleihen.

Gibt es weitere Tipps, die du aus deiner langjährigen Erfahrung als Dozent Studierenden heute mit auf den Weg geben kannst?

Viele Studenten geben zu schnell auf und verstehen nicht, dass es manchmal einfach wehtun muss. Es gehört dazu, Projekte gegen die Wand zu fahren, zu entbehren und viele Ideen wieder verwerfen zu müssen, um am Ende auf den richtigen Weg zu gelangen. Ich sage immer: Das wichtigste Werkzeug ist der Papierkorb. Das ist einfach Fakt! Etwas umzusetzen, nur weil einem gerade nichts Besseres einfällt, kann nicht die Lösung sein. Außerdem sollten sich Studierende die Zeit nehmen, ihre eigenen Figuren richtig kennenzulernen. In meiner Zeit als Dozent habe ich immer wieder den gleichen Fehler gesehen: Die Studenten kennen ihre Figur eigentlich gar nicht und wundern sich dann, warum ihre Geschichte am Ende nicht funktioniert. Von den vielen, vielen Bilderbüchern, die mir im Laufe der Zeit vorgelegt wurden, waren vielleicht zwei oder drei Geschichten dabei, die tatsächlich Substanz hatten.

Du warst also schon als Dozent und Drehbuchautor tätig und arbeitest bis heute erfolgreich als Bilderbuchautor und Illustrator? Gibt es da überhaupt noch Projekte, die du bisher nicht verwirklichen konntest, die du Dir aber fest für die Zukunft vorgenommen hast?

Eigentlich gibt es nichts Bestimmtes, was ich noch unbedingt machen möchte. Einige Buchprojekte, die noch in der Schublade liegen, möchte ich noch zum Leben erwecken.. Das gute an der Arbeit als Bilderbuchmacher ist ja, dass es immer wieder Überraschungen gibt und sich Dinge ergeben, von denen ich noch gar nichts weiß. Ich lasse es auf mich zukommen. Es ist schön, wenn man an einem Punkt in seinem Leben ankommt, an dem man nicht mehr seinen Wünschen und Zielen nachlaufen muss. Ich selber bin nicht mit so einem wahnsinnigen Talent gesegnet worden wie andere. Es gibt Illustratoren, die können aus ihrem Gedächtnis heraus alles direkt illustrativ umsetzen. Ich gehöre nicht dazu und musste mir deswegen immer alles extrem erarbeiten. Vielleicht war das aber auch ein Vorteil, weil ich mich so nie auf meinem Talent ausruhen konnte und genau wusste, warum ich studiere und wofür ich das brauche. Dazu kommt, dass man natürlich auch viel Glück im Leben braucht, um an den entscheidenden Stellen richtig abzubiegen. Aber das kann man natürlich nur bedingt beeinflussen. Heute denke ich: Wenn es so bleibt, ist alles gut.

Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg!

Interview: Lena Keil

Bilder: Klaus Baumgart