Interview mit Jakub Chrobok
Sehen, was kein anderer sieht

Im Interview vorgestellt: Jakub Chrobok ist Creative Director Infografik bei der Agentur Golden Section Graphics in Berlin. Infografiker sind visuell denkende und fantasievolle Forscher. Von Haus aus neugierig, manchmal penibel, immer wahrheitsliebend. Wir sprachen mit Jakub über ein spannendes Betätigungsfeld für Illustratoren.

Informationsdesign lässt sich nur an wenigen Unis studieren, in den Agenturen arbeiten viele Quereinsteiger. Wo kommen Infografiker eigentlich her?

Betrachtet man die jüngere Geschichte der Infografik, so kamen die ersten Infografiker, wie wir sie heute kennen, eigentlich aus der Wissenschaft oder dem Journalismus. Sie wollten die von ihnen angehäuften Informationen verständlicher machen und suchten dafür verschiedene Mittel, unter anderem Bilder. Heute haben die meisten Infografiker eher ein Designstudium hinter sich: Mediendesign, Interfacedesign oder Illustration. 

Im Moment machen Illustratoren eine sehr große Gruppe aus, doch die Tendenz verändert sich und wir bekommen auch viel Zuwachs aus dem Interactive Bereich. Ein weiterer Teil der Quereinsteiger kommt auch aus dem digitalen 3D-Bereich, Spezialisten, die nicht ausschließlich Techniker sein wollen und nicht ausschließlich fremde Produkte visualisieren möchten. Wieviel Aufmerksamkeit dem Informationsdesign an den Unis gewidmet wird, hängt vom konkreten Lehrstuhl ab und ist stark an die Person des verantwortlichen Professors gebunden.

Wie bist du selbst zur Infografik gekommen?

Ich bin rein zufällig auf die Infografik gestoßen. Bevor ich begonnen habe in dem Bereich zu arbeiten, war ich eher skeptisch. In meiner Vorstellung war Infografik verbunden mit trockenen und wenig kreativen Darstellungen ebenso trockener Inhalte. Und Sachillustration schien mir zu konkret und unfrei. Dennoch nahm ich die Chance an – schließlich bot sich mir ein gut bezahlter Berufseinstieg – und sehr bald sollte sich meine Meinung ändern. Ich kam mit vielen neuen Inhalten in Berührung, mit denen ich mich sonst vielleicht nie beschäftigt hätte, mit interessanten Daten und Fakten. Ich konnte forschen, entdecken und dabei alles anwenden, was ich im Illustrationsstudium gelernt hatte.

Was steckt hinter den Begriffen Infografik und Informationsdesign?

Infografik bedeutet für mich Visualisierung von Information. Dies geschieht mit unterschiedlichsten Mitteln – in Printmedien, in digitaler Form, mit Interaktion, Animation und vielem mehr. Das Wichtigste dabei ist, sie soll Informationen dem Betrachter näher bringen und helfen, diese zu verstehen. Im besten Fall kommt der Betrachter mit Hilfe dieser Informationen zu neuen Erkenntnissen. 

Der Begriff Informationsdesign steckt ein sehr weites Feld ab. Es umfasst neben zweidimensionalen auch räumliche Umsetzungen wie beispielsweise Leitsysteme in der Architektur oder das Design einer Ausstellung in einem Museum.

Selbst Bahnhofsbuchhandlungen bieten zunehmend Infografik in Buchform an – platziert zwischen Magazinen, Belletristik und Reiseführern. Gibt es einen Trend, zukünftig mehr „in Bildern zu lesen“?

Auf jeden Fall! Der Trend zum Visualisieren nimmt zu. Eigentlich ist es eher ein Revival. Kommunikation kommt ursprünglich vom Bild. Nach einer längeren, fast reinen „Textperiode“ kehren wir nun dorthin zurück. Die Leser werden auch bequemer, was der Infografik zugute kommt, denn sie bereitet komplizierte Informationen ansprechend und verständlich auf. Der Infografiker übernimmt für den Leser sozusagen einen großen Teil der Arbeit schon vorher. 

Wenn es um Visuelles geht, findet man in den Buchläden allerdings eher emotional gestimmte Themen. Das ist durchaus legitim und erfreut auch mein Auge, doch dem Unterhaltungswert wird viel mehr Bedeutung beigemessen als der Wissensvermittlung.

Eine Infografik ist etwas anderes als ein Kinderbuch, korrekt informieren etwas anderes als frei erzählen. Gibt es dennoch Gemeinsamkeiten?

Ein Kinderbuch regt die Fantasie an. Eine Infografik regt den Intellekt an. Das kann auch umgekehrt gelten. Viele Kinderbücher informieren gleichzeitig, gut gemachte Infografiken setzen auch das Kopfkino in Gang. Nur ist auf dieser Gradwanderung folgendes zu beachten: Eine Infografik muss sich an die konkrete Information halten. Interpretationsspielraum, wie er im Narrativen sicher erwünscht ist, hat in einer Infografik nichts zu suchen. Diese „Ungenauigkeit“ kann zu falsch übermittelter Information führen. Diese Fehler würde einem auch ein Kind übel nehmen.

Du unterrichtest im Studiengang Illustrationsdesign der AID Berlin. Wie sehen die Projekte aus, mit denen du die angehenden Illustratoren befähigst, ihr Portfolio zu erweitern?

Meine Projekte bestehen immer aus zwei Teilen. Der erste Teil fokussiert sich auf das Kennenlernen der Werkzeuge. Die Studierenden erfahren, welche infografischen Disziplinen es gibt und welche Lösungen für welche Inhalte geeignet sind und welche nicht. Ich möchte die Studierenden dazu bringen, auf dem Papier zu denken und lasse sie vor allem viel scribblen. Im zweiten Teil geht es dann an einem einzelnen Projekt zur Sache. Die Methodik zur Erstellung einer Infografik – Themenfindung, Recherche, Entwurf, Umsetzung –  wird auf ein konkretes, vorgegebenes Thema angewendet. Ob Urwald, Schach, Menschenrechte, Verpackung oder Weltraum, alles lässt sich infografisch bearbeiten.

Datensammlungen wachsen, Informationen sind unabhängig von Ort und Zeit verfügbar. Worin besteht zukünftig die Herausforderung bei der visuellen Darstellung von Information?

Die größte Herausforderung wird immer sein, sich zu fokussieren. Infografiker müssen die Informationsflut strukturieren, ordnen und die interessanteste Geschichte herauspicken. Oft ist das die berühmte Stecknadel im Heuhaufen. Natürlich müssen sie auch ihre „Werkzeuge“ auf neuestem Stand halten, aktuelle Anwendungen am Rechner oder gar Programmierkenntnisse auffrischen und sich in neue Disziplinen einarbeiten. Die Technologie der Informationsdarstellung unterliegt einem ständigem und immer schnelleren Wandel.

Schränkt die exakte bildliche Wiedergabe von Informationen und Zusammenhängen den Illustrator eher ein oder gibt es Freiheiten und Spielräume?

Dieses scheinbar enge Korsett regt die Fantasie eher an. Zu versuchen, über die Grenzen gewohnter Darstellung hinaus zu schauen, ohne die Information zu verfälschen und die Aussage aus den Augen zu verlieren, kann sehr reizvoll sein. Dabei kann man sich wie gesagt in ganz unterschiedlichen Techniken austoben. Die Freiheit liegt in der Variation: mal im 3D-Visualisieren am Computer, mal im Papierschneiden und Basteln, wieder ein andermal im Fotografieren oder einfach im Scribblen. Ich sehe für Illustratoren in diesem Bereich eine große Horizonterweiterung. Handwerkliche Fähigkeiten werden ausgebaut, Neugierde und Forscherdrang geweckt. Gehe mit offenen Augen durch die Welt! Finde Zusammenhänge, die kein anderer sieht, verstehe und vermittle.

Welche Grundeigenschaften sollte jeder Informationsdesigner mitbringen?

Neugier, Genauigkeit, Kreativität, die Fähigkeit zum visuellen Denken und eine gehörige Portion Fantasie!

Welches ist deine Lieblingsinfografik?

Eine schwer oder gar nicht zu beantwortende Frage, da es mittlerweile so viel davon gibt. Und es sind auch immer bessere Infografiken dabei. In Erinnerung bleibt mir immer "Out of Sight, Out of Mind" http://drones.pitchinteractive.com/ von Pitch Interactive. Diese Grafik spricht für sich selbst.

Nach wie vor ist die National Geographic eine sehr gute Adresse, so zum Beispiel passend zum aktuellen Semesterthema "50 Years of Space Exploration“, obwohl einige gestandene Infografiker sie als verstaubt auffassen würden. Für die Illustratoren sei hier Fernando Baptista genannt. Seine Herangehensweise an Infografiken und vor allem die Visualisierungen unterschiedlichster Themen ist fantastisch und die Zeit zur Umsetzung möchte sich jeder Infografiker gerne nehmen.

Es kommt immer darauf an, welchen Bereich man betrachtet und welche Umsetzungsart gewählt wurde. Es wird nie die Infografik geben, die in allen Disziplinen die Beste ist. Zum Glück!

Wir bedanken uns für das Interview.

Interview: Tilo Schneider
Bilder: Golden Section Graphics, C3

www.golden-section-graphics.com